Klimawandelanpassungen im Himalaya

„Dritter Pol“ werden die Gletscher der Himalaya-Region auch genannt. In der sich über acht Nationen und bis zu 3000 km erstreckenden höchsten Gebirgsregion der Welt sind enorme Wassermassen in Form von Eis gespeichert, die mehr als 1,4 Mrd. Menschen in den tiefer gelegenen Regionen mit Wasser versorgen. Jedes Jahr schrumpfen die Gletscher des Himalaya-Gebirges schneller als überall sonst auf der Welt. Was kann gegen die schwerwiegenden Folgen den Klimawandels in der Region getan werden?

 

Ausdehnungsgebiet des Himalaya inkl. Hindukusch sowie Einzugsgebiete und Verläufe der größten Flüsse (Quelle: Glacierhub.org, 22.12.19)
Ausdehnungsgebiet des Himalaya inkl. Hindukusch sowie Einzugsgebiete und Verläufe der größten Flüsse (Quelle: Glacierhub.org, 22.12.19)

Die Landwirtschaft, Wasserversorgung, der Tourismus und die Energieversorgung von acht Nationen basiert auf den im Himalaya entspringenden Flüssen. 240 Millionen Menschen beziehen ihre Lebensgrundlage direkt aus den Ökosystemleistungen der Hindukush-Karakorum-Himalayan (HKH) Region. Das Wasser ist somit einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der Länder Indien, Nepal, Afghanistan, China, Pakistan, Bhutan, Myanmar und Bangladesch. Insbesondere die Landwirtschaft ist stark abhängig von den Schmelzwässern der Gletscher, da die HKH-Region Nahrungslieferant für insgesamt 3 Mrd. Menschen ist. Die im Zuge des Klimawandels voranschreitende Regression der Gletschermasse und folglich der hydrologischen Speicher der HKH-Region ist somit von immenser Relevanz für mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung.

Der Klimawandel macht auch vor der höchsten Gebirgsregion der Welt keinen Halt – im Gegenteil trifft er die sensitiven und vulnerablen Gebirgsregionen sogar härter als andere Gebiete. Seit der Industrialisierung nehmen die Rußablagerungen auf den Gletschern deutlich zu, was eine geringere Albedo zur Folge hat. Dies resultiert in einem positiven Rückkopplungseffekt, welcher die zunehmender Gletscherschmelze verstärkt. Somit hat sich die durchschnittliche Jahresmitteltemperatur in dem südasiatischen Gebirgsraum verglichen mit dem globalen Durchschnitt bereits deutlich erhöht. Diese Temperaturerhöhung sorgt auch dafür, dass der Großteil des Gesamtniederschlages nicht mehr als Schnee, sondern als Regen fällt – dies treibt wiederum die Schneeschmelze voran und verhindert Akkumulation von Neuschnee.

 

Forscher*innen der Columbia University haben in einer Studie festgestellt, dass sich die Längenverlustraten der Gletscher seit der Jahrtausendwende verdoppelt haben. Das entspräche einem jährlichen Wasserverlust von 8 Mrd. Tonnen. 

Zu der Vielfalt dieser Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels kommt hinzu, dass die Länder der HKH-Region tendenziell eher weniger Möglichkeiten haben, sich gegen resultierende Naturkatastrophen zu schützen. Überschwemmungen und Ausbrüche von Gletscherseen sind dabei "nur" die kurzfristigen Gefahren, langfristig wird Wasser- und Nahrungsmittelknappheit in den Fokus rücken. Das Anpassungs-Beispiel des Tsho Rolpa Gletschersees in Nepal zeigt, wie schwierig die Einführung sinnvoller Maßnahmen ist. Es wurde ein Kanal gebaut, der den Seespiegel um drei Meter absenken sollte. Dies reichte allerdings bei weitem nicht aus, um die Gefahr für die weiter abwärts liegenden Dörfer zu verringern. Zusätzlich hat man ein Frühwarnsystem eingerichtet, welchem jedoch nach einigen Fehlalarmen keine Beachtung mehr geschenkt wurde und nach kurzer Zeit wichtige Bauteile gestohlen wurden. Heute ist es nicht mehr im Einsatz. 

 

Es gibt zwei zentrale Einrichtungen, die helfen, Naturkatastrophen abzuschätzen, sie vorauszusagen und sie zu verhindern. Das „International Centre for Integrated Mountain Development“ (ICIMOD) hat sich auf die Zusammenarbeit mit der Bergbevölkerung auf Basis von zwischenstaatlichem Wissensaustausch spezialisiert. SERVIR ist eine Satellitendaten gestützte Entwicklungsinitiative der NASA und der USAID, die durch die Bereitstellung von Geodaten die Beobachtung von Eislawienen, Erdrutschen, Steineinschlägen und glazialen Seeausbrüchen die Risikobewertung erleichtert. Dass solche Forschungen dringend nötig sind, begründen Prognosen wie der Verlust der Hälfte der Eisreserven bis zum Ende des 21. Jahrhunderts. Die Auswirkungen werden sich im Sinne von steigendem Abfluss und damit auch steigenden Ernteerträgen bis zum Jahr 2030 zum Teil zunächst positiv anfühlen, danach aber in zunehmende Dürre, Wasserknappheit, Ernährungsstress und wirtschaftliche Destabilisierung umschwenken.

Gletschersee im Himalaya - steigende Gefahrenquelle durch den Klimawandel (Quelle: CNN unter https://edition.cnn.com/2019/06/19/world/himalayan-glaciers-melting-climate-change-scn-intl/index.html, 22.12.19)
Gletschersee im Himalaya - steigende Gefahrenquelle durch den Klimawandel (Quelle: CNN unter https://edition.cnn.com/2019/06/19/world/himalayan-glaciers-melting-climate-change-scn-intl/index.html, 22.12.19)

Warum die Möglichkeiten, sich an den Klimawandel anzupassen, je nach Land sehr verschieden sind, hängt zum einem mit dem Stand der Forschung, aber auch der finanziellen Möglichkeiten, sowie der politischen Entscheidungsmacht des jeweiligen Landes zusammen. Ein Industriestaat wie die Schweiz, dessen Lebensraum sich zwar seit Jahrzehnten zunehmend in die Bergregionen ausweitet und dessen Bevölkerung damit auch schrittweise mehr Gefährdungen ausgesetzt ist, hat eine geringe Vulnerabilität gegenüber den Veränderungen. Kritische Regionen können mit erprobten Maßnahmen, wie dem Ablassen von Seen, regulierbaren Schleusentoren oder Kameraüberwachung unter Kontrolle gehalten werden. Die hohe Adaptionskapazität lässt sich vorrangig auf reichlich vorhandenes finanzielles Kapital und die Möglichkeit der intensiven Untersuchung des Gebiets zurückführen.

Nepal hingegen hat nicht nur mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen, sondern auch mit Korruption und fehlender Infrastruktur, wodurch Anpassungs- und Mitigations-Projekte oftmals kaum oder keine Wirkung zeigen. Zwar kann das Indigene Wissen der Nepalesen bzw. der Bewohner der HKH-Region beispielsweise bei der Ausrichtung der Dörfer an speziellen Orten als Vorteil vermutet werden, jedoch ist dieses Wissen eher an konstante Naturgegebenheiten angepasst und kann unter Umständen nicht mit der schnellen Veränderung des Klimawandels mithalten. Trotzdem hat Nepal wesentlich weniger Bevölkerung und Infrastruktur in den Hochlagen,als die Schweiz, die über ihre natürlichen Barrieren hinausgewachsen ist und somit vielerorts ein erhöhtes Risiko trägt. Ein Risikofaktor in Nepal ist jedoch im Bereich des Tourismus zu finden: Der Strom der Wanderer, die den Mount Everest besteigen wollen, steigt jährlich an – und damit auch die Zahl der Verunglückten. Trotz der Gefahren durch den Klimawandel verringert sich in Nepal die Zahl der Touristen nicht, wovon die Nepalesen profitieren, denn das Land ist heute stark Abhängig vom Tourismus – und ebenso von der finanziellen Unterstützung der Entwicklungszusammenarbeit.

 

Hannah Sill